In einem Diskussionsprozess unter Beteiligung von über 150 Fachleuten und in drei Diskursforen hat das Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin von Herbst 2014 bis Frühjahr 2015 – ausgehend von dem Konzept Civic Education – das Impulspapier Charta Bildung.Engagiert erarbeitet. In der Denkwerkstatt im April 2019 wurde von dem Landesbündnis Berlin-Brandenburg entschieden, dieses Papier als eine partizipativ erarbeitete Grundlage in den Bündniskontext aufzunehmen.

Ein Impulspapier des Landesnetzwerks Bürgerengagement Berlin

Stand: 20.05.2015

Präambel

Seit vielen Jahren zeichnet sich im Bildungsbereich eine neue Entwicklung ab. Ganzheitliches Lernen von Kindern und Jugendlichen durch Engagement steht dabei im Mittelpunkt. Als zentraler Begriff in diesem Prozess hat sich „Civic Education“(1) durchgesetzt: die Erziehung und Bildung
zum/r kompetenten, mündigen Bürger_in. Hierin bündeln sich Ansätze und Strategien der politischen Bildung, der Stärkung von Partizipation von Kindern und Jugendlichen, der demokratischen Gestaltung des Alltags in pädagogischen Einrichtungen sowie der Förderung von Bürgerschaftlichem
Engagement (2). Civic Education zielt somit auf die Ausbildung von Haltungen, Bereitschaft und Fähigkeiten zur Mitbestimmung und Mitgestaltung unserer Gesellschaft ab. Im Sommer 2012 traten über vierzig Organisationen an das Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin mit demWunsch heran, in Berlin die Verbindungen und Synergien der Bereiche „Engagement“ und „Bildung“ für Kinder und Jugendliche zu intensivieren und zu einem eigenen, anerkannten Themen- und Handlungsfeld in Politik und Gesellschaft zu entwickeln. In einem Diskussionsprozess unter Beteiligung von über 150 Fachleuten und in drei Diskursforen von Herbst 2014 bis Frühjahr 2015 wurde ausgehend von dem Konzept Civic Education für die Berliner Situation Folgendes erarbeitet.

Bürgerschaftliches Engagement ist Bestandteil von ganzheitlicher Bildung

Civic Education und demokratisches Alltagshandeln lassen sich vor allem durch Verantwortungsübernahme und Selbstwirksamkeit erfahren. Dabei finden formale, informelle und non-formale Bildungsprozesse, in und neben der Schule, z.B. in Vereinen, Verbänden, Projekten und Initiativen statt. Sie eröffnen Möglichkeiten für ein Lernen in lebensweltlichen Zusammenhängen und damit ein gemeinsames Problemlösen mit anderen.
Der Dreiklang aus Verantwortungsübernahme, Erfahrung der eigenen Wirksamkeit und Anerkennungskultur ist für die Entwicklung von Kindern bereits ab dem Kleinkindalter und danach lebensbegleitend für ganzheitliches Lernen ausschlaggebend. In diesem Aneignungsprozess
wird aus „der Welt“ „meine Welt“. Damit dieser Erkenntnis ein selbstbestimmtes Engagement folgt, braucht es Freiräume für die Selbstentfaltung von jungen Menschen.
Alle pädagogischen Einrichtungen sind daher als Orte dieser Lern-, Identifikations- und Mitbestimmungsprozesse zu gestalten und zu befördern. Eine Öffnung der Bildungseinrichtungen zum Gemeinwesen und eine Zusammenarbeit mit bürgerschaftlichen Akteur_innen schafft eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer demokratischen Gestaltungs- und Mitwirkungskultur für Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag. Dabei sind auch die Eltern einzubeziehen. Berlin ist eine Stadt mit vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche Partizipation und Engagement von Kindern und Jugendlichen werden durch den gesetzlichen Rahmen sowie durch Programme gefördert und unterstützt. Kinder und Jugendliche werden in ihren Lebenswelten zum Mitreden, Mitmischen, Mitgestalten und Mitentscheiden angeregt und begleitet. Dabei können sie sich als Expert_innen für ihre eigenen Belange in Familie, Kiez, Kindergarten und Schule aber auch in Politik und Verwaltung einbringen. Die Grundlage dafür bilden die UN-Kinderrechtskonvention, das Kinder-und Jugendhilfegesetz und das Schulgesetz. Unter anderem wurden jährliche Foren und Beteiligungsprozesse auf Bezirksebene entwickelt, der Jugend-Demokratiefonds Berlin wurde zur Förderung neuer Beteiligungsformate aufgelegt.
Kinderbüros, Kinder- und Jugendparlamente sowie Programme zur politischen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bestehen bereits an vielen Orten und in vielen Zusammenhängen der aktiven Stadtgesellschaft in Berlin. Trotz vielfältiger Engagementangebote von und für Kinder
und Jugendliche in Berlin besteht immer noch großer Handlungsbedarf.(3)
Die am Leitbildprozess der „Charta Bildung.Engagiert“ Beteiligten wenden sich daher an die Abgeordneten im Berliner Parlament als die
gewählten Vertreter_innen der Bürgerschaft und fordern gemeinsam mit den Akteur_innen im Bereich Bildung und Bürgerschaftliches Engagement zu einer Stärkung von Civic Education in Berlin durch die Umsetzung der folgenden Punkte auf:

1. Beteiligungskonzepte von Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen umsetzen

Die vielfältigen Anforderungen an eine Umsetzung von Beteiligungskonzepten können nur durch eine fachliche Vorbereitung der Akteur_innen ermöglicht werden. Es bedarf umfangreicher Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote für pädagogisches Personal. Eine Aufnahme von Civic Education in die Lehrpläne sowie die verbindliche Einrichtung von Zeitressourcen ist erforderlich, um die Verankerung an Kita, Schule und Jugendeinrichtung
zu ermöglichen.

2. Bildungseinrichtungen mit Orten des Engagements vernetzen

Die Vernetzung ermöglicht pädagogischen Einrichtungen komplexe Konzepte wie „Bildungslandschaften“ (4) zu realisieren. Strategien zur Implementierung, orientiert an den Interessen und Bedarfen der Kinder und Jugendlichen, gilt es zu entwickeln. Hier bedarf es der Einbeziehung politischer Akteur_innen auf Bezirks- und Landesebene. Für die berlinweite Vernetzung bedarf es einer koordinierten Informations- und Austauschplattform.

3. Informationen und Einblicke in die bestehende Vielfalt an Projekten und Initiativen im Engagement gewährleisten

Um Kindern und Jugendlichen passgenaue Engagementformen zu ermöglichen, bedarf es einer Anlaufstelle. Dort erfahren sie Unterstützung bei ihrer Orientierung und Entscheidung zu ihrem Engagement. Es gilt somit eine altersgemäße Beratung – bestenfalls in Form von Peer-to-Peer-Ansätzen (5) – auszubauen, in die Fläche zu bringen und passende Angebote gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen zu entwickeln. Dies birgt auch die Chance, möglichst viele bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche zu erreichen und zu motivieren. Vorgeschlagen wird die Durchführung eines jährlich stattfindenden „Berliner Demokratietags“. Dies schafft die Möglichkeit, Engagement sichtbar zu machen, Vernetzung zu fördern, über bestehende Aktivitäten zu informieren sowie Anerkennungsformen zu etablieren.

4. Anerkennung von Engagement und Partizipation von Jugendlichen im Übergang von Schule und Ausbildung ins Berufsleben stärken

Die Forderung nach geregelter Freistellung für bürgerschaftliches Engagement von Beschäftigten, insbesondere von Heranwachsenden, wird mit Nachdruck gestellt. Dies ermöglicht lebenslanges, zivilgesellschaftliches Lernen und gesellschaftliche Verantwortungsübernahme. Arbeitgeberverbände und Kammern können die Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements von jungen Beschäftigten und Bewerber_innen noch wesentlich deutlicher zeigen und so ihre Wertschätzung ausdrücken. Engagierte junge Menschen sind ein Gewinn für die Betriebe und die Arbeitskultur. Sie benötigen konkrete Unterstützung. Hierbei sollen die Arbeitgeberverbände und Kammern aufgefordert werden, ihre Anerkennung von bürgerschaftlichem Engagement von jungen Beschäftigten und Bewerber_innen als Ausdruck der Wertschätzung wesentlich mehr zu zeigen.

KONTAKT
Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin / Landesfreiwilligenagentur Berlin Schumannstraße 3, 10117 Berlin
www.aktiv-in-berlin.info | landesnetzwerk@freiwillig.info
www.bildung-engagiert.de | https://twitter.com/FreiBilden

Fußnoten:

1„Civic Education (ins Deutsche übertragen: Bürgerschaftliche Erziehung) ist ein im angloamerikanischen Sprachraum entstandenes pädagogisches Modell mit dem Ziel, durch lebenslanges soziales und multikulturelles Lernen demokratisches Handeln und Denken einzuüben und dadurch sicherzustellen, dass Demokratie und Zivilgesellschaft in der Praxis funktionieren. Civic Education (auch Citizenship Education) kann als ´Lernen für Demokratie und Zivilgesellschaft´ übersetzt werden. Dabei geht es um die Gestaltbarkeit der Gesellschaft im Sinne einer künftig demokratischen, gerechten und friedlichen Welt. (…) Civic Education soll zum einen politisches Engagement und soziale Kompetenz fördern und zum anderen helfen, fundamentale demokratische Prinzipien zu verstehen und sich für diese einzusetzen.“ | Zitat: Stichwort Civic Education. Wikipedia, Stand 19.05.2015

2 „Der Begriff des Bürgerschaftlichen Engagements, den die Enquete-Kommission zur ´Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements´ vorgeschlagen hat, ist nicht nur ein Sammelbegriff, der die Vielfalt der Engagementformen (Ehrenamt, Selbsthilfe, freiwillige Tätigkeit …) im Überblick für eine zusammenhängende Analyse umfasst. In der Begriffsbestimmung wird dieses Engagement als ein Handeln verstanden, das in der Einstellung von Bürgerinnen und Bürgern erfolgt. Daher auch die Wortwahl ´Bürgerschaftlich´: Gemeint ist hier (…) das eigensinnige selbstgewählte Handeln selbstbewusster Bürgerinnen und Bürger.“ | Zitat: Ansgar Klein: Bürgerschaftliches Engagement und politische Partizipation. In: BBE. Newsletter für Engagement und Partizipation in Deutschland, (1)2015, 1

3 „Ob Kinder und Jugendliche mitbestimmen dürfen, hängt aber nicht vom Goodwill der Erwachsenen ab. Das Berliner Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) macht Beteiligung verbindlich. Alle Fachkräfte aus Jugendhilfe und Planung, sowie alle Entscheidungsträger_innen aus Politik und Verwaltung sind gesetzlich zur Beteiligung verpflichtet: ´In jedem Bezirk sind (…) geeignete Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Jugendhilfeplanung UND anderen sie betreffenden Planungen zu entwickeln und organisatorisch sicherzustellen.´ (§ 5, Abs.3 AG KJHG )“ | Zitat & Hervorhebung: Rebekka Bendig: Dossier Beteiligung. In: stark-gemacht.de/de/information/ Demokratie-und-Beteiligung.php, 10.05.2015.

4„Kommunale Bildungslandschaften haben das Ziel, Schulen, Kitas und außerschulische Bildungseinrichtungen in einem Wirkungszusammenhang zu bringen und durch verstärkte Kooperationen Kindern und Jugendlichen bessere Bildungsbedingungen und vielfältige Bildungsmöglichkeiten zu bieten.“ | Zitat: www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/lernen-vor-ort-kommunale-bildungslandschaften/, 10.05.2015